top of page

Der Wald brennt

Aktualisiert: 7. Apr. 2020

Our house is burning“, sagte kürzlich Präsident Macron im Zusammenhang mit dem enormen Ausmaß der Brände im Regenwald des Amazonas. Die Betroffenheit ist groß und rasch möchte man den Amazonas retten. Die Kunstinstallation For Forest von Klaus Littmann im Klagenfurter Wörtherseestadion eröffnet der Walddiskussion eine neue Bühne. Nicht zuletzt gerät der Wald auch in heimischen Gefilden zusehends unter Druck. Die Ursachen dafür sehen Naturschützer, Grundeigentümer, Industrielle und die jeweiligen Lobbyisten naturgemäß unterschiedlich. Ganz zu schweigen von möglichen Lösungswegen für die Zukunft. Die Diskussion ist eröffnet.


For Forest Kunstinstallation im Klagenfurter Wörtherseestadion

WALD. Wir alle leben davon. Kaum ein Österreicher zweifelt heute noch am großen Nutzen des Waldes für die Bewohner in Form von Erosions- und Lawinenschutz, Frischluft, sauberem Wasser, Lebens- und Erholungsraum sowie Naturprodukten. 48 Prozent der Landesfläche sind Wald. Doch erfüllt unser Wald noch die erwarteten Leistungen? Immer öfter ist auch hierorts vom Waldsterben durch Käferbefall, Trockenheit oder Wind- und Schneebruch und Wildeinfluss die Rede. Experten sind sich einig, dass die Fichte, der über Jahrzehnte hoch gepriesene Brotbaum der Forstwirtschaft, unter einer Seehöhe von 600 Meter über kurz oder lang verschwinden wird. Was ist los mit Bruder Baum?


Tatsächlich nimmt die mit Bäumen überschirmte Fläche in Österreich seit drei Jahrzehnten ab. Dies berichtet ein Forscherteam von der Humboldt Universität Berlin, der Oregon-State-Universität und der Universität für Bodenkultur in Wien. Die Gründe sind vielfältig, liegen in der Nutzung von Holz, im Käferbefall oder in natürlicher Mortalität. Die Abnahme ist hierzulande fast doppelt so stark wie in Deutschland. Forst- und Industriekreise schenken diesem Ergebnis überraschend wenig Beachtung. Vielleicht deshalb, weil die Waldfläche in Österreich quantitativ zunimmt. Wenn man jedoch von der Klimawirksamkeit von Wald spricht, ist die überschirmte Fläche der bessere Weiser, zumal laut Forstgesetz zur Waldfläche auch Kahlhiebe, Blößen, Lagerplätze und Forststraßen gerechnet werden.


Kontroversiell werden die Argumente auch in Hinblick auf das Kohlenstoff-Speichervermögen des Waldes geführt. Die Zielsetzungen sind nachvollziehbar. Waldeigentümer wollen vom Wald leben, aber vor allem die Industrie möchte ihre teuren und in Österreich in besonderer Dichte vorhandenen, holzverarbeitenden Werke ausgelastet sehen. Im Branchenbericht der Holzindustrie 2017/18 wird sinngemäß formuliert, dass die Industrie durch ständige Kapazitätserhöhungen immer mehr an Rohstoff benötigt. Immer öfter geraten sich Papierindustrie, Sägeindustrie und Betreiber von Biomassekraftwerken um die knappen Ressourcen kräftig in die Haare. Doch rasch vereint und mit der, der Wirtschaft innewohnenden Steigerungslogik, manchmal auch behördlich unterstützt, fordern sie die sogenannte Holzmobilisierung. Es heißt, es könnte noch deutlich mehr Holz genutzt werden, ohne an der Mengennachhaltigkeit im Wald zu kratzen. Neuerdings wird die Sinnhaftigkeit Holzmobilisierung auch mit dem Argument der Kohlestoffspeicherung in Holzprodukten verquickt. Unerwähnt bleibt von der Industrie und ihren Unterstützern, dass ein Drittel der Baummasse ohnedies in Form von Wurzeln und Stock im Wald verbleibt und fast ein weiteres Drittel unmittelbar nach der Ernte verbrannt oder zu kurzlebigen Produkten verarbeitet und der darin gespeicherte Kohlenstoff in kürzester Zeit der Atmosphäre rückgeführt wird. Ein gutes Drittel des Baumes kann als Bau- und Möbelholz länger CO2 speichern. Wenn dies für ein paar Jahrzehnte gelingt, ist das schon eine lange Zeit.


Im Lebensraum des Dreizehenspechts schreitet die Kohlenstofffreisetzung besonders langsam voran

In der Tat ist es aber so, dass Bäume mit 80 bis 100 Jahren weit vor ihrem natürlichen Alterstod geerntet werden. Die Industrie zahlt Stämme über 40 Zentimeter Durchmesser schlechter und der Forstwirt gibt sich mit einem vermeintlich geringerem Betriebsrisiko zufrieden. Bliebe der Baum stehen, könnte er noch ein paar Jahrzehnte der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen und speichern, ehe er als Starkholz geschlägert wird. Einige Jahrhunderte wären es, wenn man ihn eines natürlichen Todes sterben ließe. Die Kohlenstoffspeicherung fände bei diesem Szenario vom Wipfel bis zur Wurzelspitze statt. Ein schönes, wenn auch extremes Beispiel, wie lange Verrottungsprozesse dauern können, findet sich in einem der letzten Urwaldreste in Österreich, im Urwald Rothwald. Dort wurde das Absterben einer riesigen Tanne zu Beginn des 20 Jahrhunderts dokumentiert. Umgefallen ist sie erst 100 Jahre später und zum Verrotten wird es noch weitere Jahrzehnte bedürfen. Während dieses lang andauernden Verrottungsprozesses wird ein Teil des Kohlenstoffs frei, ein weiterer Teil wird zu Humus und bleibt darin gebunden. Zusätzlich speichert Totholz auch jede Menge Wasser.


Bis zum Jahr 2050 geben uns die Klimaforscher Zeit, eine ausgeglichene Kohlenstoffbilanz zu erreichen. Ein starkes Argument, Bäume jetzt deutlich älter werden zu lassen. Marktmotivierte Mätzchen in diesem Zusammenhang sind kontraproduktiv, ja sogar gefährlich. Was nicht heißt, Holz gar nicht mehr zu nutzen. Ein kluger Mittelweg aus Naturwaldzellen, längerer Umtriebszeit und nachhaltiger naturnaher Forstwirtschaft wird nötig sein, um den besten Näherungswert einer idealen Kohlenstoffbilanz aus unserem Waldökosystem herauszuholen.


In Bayern will jetzt Ministerpräsident Markus Söder den Staatswald nicht mehr gewinnorientiert bewirtschaften, sondern zum Klimaspeicher umbauen lassen. In der Biodiversitätsstrategie aus dem Jahr 2007 hat sich jedes deutsche Bundesland verpflichtet, bis ins Jahr 2020 fünf Prozent des Waldes bzw. zehn Prozent des Staatswaldes außer Nutzung zu stellen. Bayern liegt im Jahr 2019 bei 1,3 Prozent. Söder spricht nun von einer „moralischen Herausforderung zur Bewahrung der Schöpfung“ und dass Klimaschutz unabhängig von der konjunkturellen Lage gestaltet werden müsse. In Deutschland wie in Österreich sind bei Nichteinhaltung der Klimaziele von Paris bis zum Jahr 2030, Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu erwarten. Wald könnte hier einiges abpuffern helfen. Die Österreichischen Bundesforste sind gefordert, ihre gewinnorientierte Struktur als Aktiengesellschaft zu überdenken, die derzeit im Bundesforstegesetz verankert ist. Auch das Auszahlen von Boni für Mitarbeiter bei gutem wirtschaftlichem Betriebserfolg kann für einen Betrieb, dessen wahren Erfolge erst in hunderten Jahren zu ermessen sind, diskutiert werden.


Die Art und Weise der Waldbewirtschaftung hat jedoch nicht nur einen enormen Einfluss auf den Kohlenstoffkreislauf, sondern auch auf den Wasserhaushalt und die Ressource Frischluft. Ohne Zweifel erleichtern die LKW-befahrbaren Forststraßen und die mit Traktor befahrbaren Rückewege die Waldbewirtschaftung. Allerdings hat diese Form der Erschließung, deren Gesamtlänge fast zehn Mal den Äquator umspannt, unweigerlich Einfluss auf den Wasserhaushalt. Vom Gegenhang aus oder mit GoogleEarth betrachtet wirken die Wege wie die Drainagelinien der Berge. Und tatsächlich führen diese Wege das Wasser schnellst möglich zusammen, leiten es bis zum nächsten Graben, Bach und schon ist das Wasser aus dem Wald und in den Siedlungsräumen. Zweimal schlecht gelaufen könnte man sagen. Zum einen würde der Wald in Zeiten des Klimawandels und der damit verbundenen häufiger lang andauernden Dürrezeiten das Wasser dringend für seine Gesunderhaltung benötigen, das Wasser könnte auch langsam durch den Filter von Boden und Gestein zu Quellen gelangen, die uns mit Frischwasser versorgen und es müsste nicht mühsam mit Sperren und Regulierungen gebändigt werden, damit wir unseren Siedlungsraum weiterhin einigermaßen sicher bewohnen können. In Sachen Wassermanagement im Wald bleibt noch viel zu tun.


Hinsichtlich der Bereitstellung von Frischluft haben Forscher der ETH Zürich nachgewiesen, dass alte Waldbestände in Hitzeperioden deutlich kühler sind als Freiflächen. Ob nun aus Gründen der frischen Luft vor Ort oder der Reduktion der globalen Erwärmung wegen, muss die gängige Praxis des Kahlschlagbetriebes in Österreich hinterfragt werden. Unschwer ist beim Grenzübertritt nach Slowenien, Italien oder Bayern zu erkennen, dass die Nachbarn diese Art der Holznutzung kaum betrieben oder schon längst wieder aufgegeben haben. Der Schwerpunkt liegt dort auf Dauerwaldbetrieb, also Einzelbaumnutzung. In Österreich beträgt derzeit die maximale Größe für einen Kahlschlag zwei Hektar.


Stabile Mischwälder sorgen für gute Luft und sauberes Wasser

Gut wasserversorgte, geschlossene, strukturierte und gemischte Wälder sind stabil und können durch Stürme oder Forstschädlinge nicht so leicht aus den Angeln gehoben werden. Diese Form der resilienten Wälder ist Stand der forstlichen Ausbildung wie sie seit den 1980er Jahren in Forstschulen und an der Universität für Bodenkultur gelehrt wird. In letzterer zunehmend auch in Zusammenhang mit der bereits damals absehbaren Klimaerwärmung. Allein, bei vielen Waldeigentümern und ihren Beratern ist diese Botschaft zu wenig angekommen. Die einfache Bewirtschaftung von Fichten-Monokulturen und die Gewinnaussichten waren zu verlockend. Nun sind fast 40 Jahre verstrichen und Teile in der Branche tuen so, als ob die Erwärmung für sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen wäre. Freilich, die Schuld an der Erwärmung trägt nicht die Forstwirtschaft aber die Vorbereitung auf sich ändernde Verhältnisse hat man auf vielen Flächen versäumt, vergleichbar dem gegenwärtigen Zaudern einiger Landwirte mit Herdenschutz zu beginnen, obwohl jetzt schon klar ist, dass immer mehr Wölfe ins Land kommen werden. Probleme zu verdrängen scheint sehr menschlich, das große Heulen folgt auf dem Fuß.


Rehwild ist spezialisiert auf Mischbaumarten

Die Verjüngung des Waldes leidet neben waldbaulichen Fehlern auch an zu hohen Schalenwildbeständen. Prof. Hackländer von der Universität für Bodenkultur bezeichnet Österreich ob seiner hohen Schalenwilddichten gar als „Europameister in Sachen Futter für den Wolf“. Ein Mosaikbaustein zur Verhinderung einer Klimakatastrophe ist eine Reduktion der Wildbestände, um das Aufkommen von stabilen Mischwäldern nicht unnötig zu verzögern oder gar zu verhindern. Wildreduktion kommt dem Wohle des Menschen zugute. Und keine Sorge, Wildbestände erholen sich rascher als der Wald.


Zurück nach Deutschland. Parallel zu den Söder´schen Forderungen formieren sich dort Bürgerinitiativen, die ebenfalls ein Ende der „konventionellen“ Forstwirtschaft fordern. Sie verstehen darunter die Abkehr von nicht heimischen Baumarten, Monokulturen, einschichtigen Beständen, durchschnittlich geringem Baumalter, Bodenverdichtung und Entwässerung. Federführend wirkt hier Peter Wohlleben, ein Förster, der auf viele Berufskollegen in etwa die gleiche Wirkung verströmt wie Greta Thunberg auf alte weiße Männer. Klar, dass sich hier einige konservative Forstleute auf den Schlips getreten fühlen. Tatsächlich sind die meisten inhaltlichen Forderungen aber längste Stand des Wissens und Zeichen einer modernen, ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Forstwirtschaft.

Die Bedeutung eines funktionierenden Ökosystems Wald ist im Gebirgsland Österreich unbestritten und auch unbezahlbar. Um einen gesunden Wald zu erhalten ist es notwendig, eingefahrene Denkschienen aufzugeben. Zeitgemäße Ausbildung, geeignete Förderinstrumente für Waldeigentümer und eine personell gut ausgestattete Forstbehörde können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Eigentlich eine bescheidene Forderung im Vergleich zu dem, was wir den Staaten im Einzugsgebiet des Amazons abverlangen.


Direkt an der Grenze zum Nationalpark Thayatal ist erkennbar, wie sehr der Mensch in die Zusammensetzung des Waldes eingegriffen hat.
Wald ist nicht gleich Wald

Verwendete Literatur

Waldstraßenstatistik: https://bfw.ac.at/700/2109.html; abgerufen am 24.8.2019

Holzmobilisierung und Branchenbericht der Holzindustrie: https://www.wko.at/branchen/industrie/holzindustrie/branchenbericht-2017-2018.pdf ; abgerufen am 3.9.2019

Fichte verschwindet unter 600m Seehöhe https://www.holzkurier.com/rundholz/2018/09/913_mio-_fm-fichte-unter-600m.html ; abgerufen am 2.9.2019

Europameister in Sachen Futter für den Wolf: https://kurier.at/chronik/oesterreich/in-15-jahren-koennten-500-woelfe-heulen/400463101 ; abgerufen 13.9.2019



234 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page